(Foto: Unsplash / Jonathan Borba)
  • Datum:

    13. Apr. | 16 Uhr

  • Location:

    Club Bahnhof Ehrenfeld

  • soul

LIZ hat viel erlebt in den zurückliegenden drei Jahren, vermutlich mehr, als ein junger Mensch überhaupt verarbeiten kann. Im großen Corona-Loch auf dem Radar erschienen, hat sie die Straße, die Rapszene und das Feuilleton mit ihrer Debüt-EP »Bleibe Echt« aus 2021 und dem ersten Langspieler aus 2022 gleichermaßen von sich überzeugt. Streamingzahlen schossen in die Höhe, LIZ nahm Songs mit alten Held*innen wie Schwesta Ewa, Celo & Abdi, Prinz Pi oder Ramo auf, sah sich statt in der S-Bahn über Nacht in Grand Plaza Suites und auf der splash!-Mainstage. Eigentlich eine romantische Aufstiegsgeschichte, das alles — würde LIZ’ persönliches Fazit nicht so dermaßen ernüchternd ausfallen. »Fühle mich allein, glaube das nennt man Erfolg«, offenbart sie auf ihrem zweiten Album »AMY WINEHOUZE«, scheint generell zerrissener denn je und beschreibt sich als Gefangene in einem Vakuum zwischen Traum, Trauma und Alptraum.

Schon der Titel ihres Zweitlingswerks spricht Bände, besonders im Abgleich mit dem Namen der Vorgänger-LP. Die hatte LIZ »MONA LIZA« getauft, inspiriert durch das berühmteste Gemälde der Welt, dem sie als Jugendliche während einer Paris-Reise minutenlang gefesselt gegenüberstand. LIZ hat sich im vielsagend-verführerischen und doch zurückweisenden Blick jener von da Vinci porträtierten Frau gespiegelt, in ihren Augen gelesen. Und jetzt? Benennt LIZ ihre Platte nach einer Frau, deren Augen auf dem Gipfelpunkt ihrer Karriere nur noch leer waren — die sich, vom unverhofften Ruhm erschlagen, in den Rausch flüchtete, auf den größten Bühnen zusammenbrach und im Alter von 27 Jahren tragisch aus dem Leben schied. LIZ hat sich in den vergangenen Monaten intensiv mit Amy Winehouse’ Werk beschäftigt, ist Fan geworden, verbeugt sich im Zuge ihrer neuen Platte vor der Queen of Soul. Spiegelt sich »Lizzy« in Amy Winehouse? Zumindest auf einigen Ebenen. Amy, diese starke weibliche Stimme, musste sich in einer männerdominierten Industrie trotz ihres unbändigen musikalischen Talents doppelt beweisen — LIZ, die, wie sie rappt, »bis heute getestet« wird, kann davon ein Lied singen. Sie erkennt sich aber auch in Amys Versagensängsten, ihrer ungeraden Biografie, diesem Hang zum Exzess, zum Risiko, zum Drama, dieser pochenden, kaum definierbaren, nie endenden Sehnsucht.

LIZ ist in den letzten Jahren gependelt, ständig, rastlos, zwischen Frankfurt und Berlin. War sie in der Hauptstadt, hat sie ihren Plattenbau vermisst. War sie zurück im 069, plante sie direkt den nächsten Trip an die Spree. Es ist bezeichnend, dass LIZ ausgerechnet mit dem bedächtigen Stück »Main Grau« ins neue Album einsteigt — eine ungewohnt elegische Liebes- und Hasserklärung an ihre Heimatstadt, ihre Straßenvergangenheit und ihr neues Leben. Dieses Leben, dass LIZ viel »zu bunt« ist. Sie kämpft immer noch »allein gegen die Welt«, ob nun im Brennpunkt oder auf dem roten Teppich. Verändert, ja, weiterentwickelt hat sie sich trotzdem, das beweist schon »Main Grau« eindrucksvoll: Wo in der Vergangenheit Punchline-Feuerwerke, Rap-Skills und Crime-Attitüde dominierten, werden Emotionen nun neu kanalisiert. LIZ lässt die harte Schale bröckeln, tritt reflektierter, defensiver auf, spielt zugleich furchtlos mit Melodien. Mit »MONA LIZA« hat LIZ die Deutschrap-Szene zu ihrem Wohnzimmer gemacht, »AMY WINEHOUZE« ist jetzt mehr die Eingangstür zum Keller. Laut, sprachgewaltig, asozial und aggressiv sind »Lizzys« Songs noch immer — nur scheinen sie nun zwei Zentimeter tiefer unter die Haut zu gehen.

LIZ ist, so erzählt sie, während der Album-Arbeiten klargeworden, dass sie »nicht nur Rapperin, sondern auch Künstlerin« sei. Anders als im Kontext des ersten Albums hat sie diesmal mit diversen Produzent*innen und nicht mehr vordergründig mit dem Beat-Kollektiv FNSHRS zusammengearbeitet, das sich auf »MONA LIZA« für zwei Drittel der Kompositionen verantwortlich zeichnete. Im Dezember letzten Jahres entstanden auf Teneriffa in Kollaboration mit Lucry & Suena erste Songs, darunter der Titeltrack »Amy Winehouze« — für die Klanggerüste anderer Kernstücke zeichnet sich PZY verantwortlich. Die unterschiedlichen Sound-Philosophien von Fewtile, Maxe, Kavo und Yanek Staerk komplettieren den Cocktail »AMY WINEHOUZE«, der auf musikalischer Ebene kaum vielseitiger aufgestellt sein könnte. Zusammengehalten von LIZ’ unverkennbarer Stimmfarbe treffen düster peitschende Banger der Marke »Shu Kuzeng« oder »Tochter meiner Mutter« auf verträumte Balladen à la »Souvenir«; Azzlack-eske Bass-Kulissen verquirlen mit melodischen, an die Achtzigerjahre erinnernde Spielarten wie in »Gangster tanzen nicht« oder brutaler Distortion in »Gewalt«-Manier.

»Billie Jean«, der zweite Track in der Dramaturgie, lässt direkt nach »Main Grau« düstere Wolken aufziehen, drückt bedrohlich, stellt auf schummrige Atmosphäre um. Schon hier wird klar, dass LIZ in den vergangenen Monaten viel Zeit im Berliner Nachtleben verbracht hat, sich treiben ließ, dabei zeitweise drohte, im Würgegriff toxischer Substanzen verloren zu gehen — »big Flex bis 6 pm«. Die maßlose Feierei war nicht zuletzt eine Flucht vor den großen Baustellen in LIZ’ Kopf, gleichzeitig aber auch lehrreich. »Ich habe den Künstler-Lifestyle ausprobiert, war von völlig neuen Leuten umgeben und musste erstmal realisieren, dass die meisten keine Freund*innen, sondern höchstens Wegbegleiter*innen sind«, blickt sie abgeklärt zurück. »Eins Zwei«, ein Feature mit Kreissägen-Stimme Kasimir1441 im Freddy-Krüger-Style, erzählt ebenfalls vom Teufelskreis nie endender Berliner Partynächte — dem Satz »es gibt immer was zu feiern« haftet in diesem Kontext eine schmerzliche Note an.

Im bittersüßen »3 Gramm«, einem klangschönen Song, auf dem sich LIZ selbst bewiesen hat, wie stark sie sich musikalisch fortentwickelt hat, wirft sie einen Blick in ihre Biografie — spürbar nachdenklicher, als sie es noch vor einem Jahr getan hätte. »Ich will nicht mehr rangehen, wenn die Straße ruft«, heißt es da. Irgendwie kein Wunder, war LIZ’ Leben doch seit ihrer Geburt gezeichnet von den hässlichen Begleitsymptomen des Zwielichts. Aufgewachsen zwischen Frankfurt-Ostend und Offenbach wurde sie früh zum Scheidungs- und Schlüsselkind. Ihr Vater verpasst weite Teile ihrer Entwicklung, weil er im Knast saß — LIZ rutschte in jungen Jahren selbst in die Kriminalität ab, lernte früh, als Frau ihren Mann zu stehen. Teile ihrer Jugend hat sie in der geschlossenen Abteilung einer Psychiatrie verbracht, zurück auf der Straße verkaufte sie Drogen, beging Einbrüche und kiffte sich um den Verstand. Parallel dazu erblindete ihre Mutter, kurz: aus den »Steinen«, die LIZ im Weg lagen, hätte sie Zeit ihres Lebens ganze Mauern bauen können.

Dass sie trotzdem irgendwann Abitur gemacht und anschließend Fuß im Mainstädter Rap-Olymp gefasst hat, spricht für ihre unbändig Kämpfernatur: »als Outlaw geboren, doch geh’ als Ikone«. Und trotzdem sind Altlasten und Dämonen »Lizzys« ständige Begleiter — im vollen Bewusstsein darüber beschreibt LIZ »AMY WINEHOUZE« in seiner Gesamtheit als eigentherapeutische Maßnahme. Wer die Straße im Blut hat und oft getäuscht wurde, hat auf Lebenszeit Schwierigkeiten mit Nähe und Distanz. »Fahren« und »Sie mag es« sind in dieser Hinsicht die spannendsten Stücke des neuen Albums. Beide bestechen durch eine gelungene Mischung aus rührender Aufrichtigkeit und nonchalanter Sexpositivität — »Ich hab ne Scheide aus Gold, auch ohne ein’ Schwanz bin ich King«. Trotz ihrer spürbaren künstlerischen Weiterentwicklung ist LIZ, das fällt speziell in markanten Zeilen wie dieser auf, auch nach drei Jahren im Showgeschäft die gleiche, frech, unverfroren, kantig, eben echt geblieben.