Pfarrer Jörg Meyrer erinnert sich an die tragische Flut in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 im Ahrtal. Nach der Flut half er zu organisieren, aber war vor allem auch als Seelsorger für die Menschen im Ahrtal da.
Im Überblick:
- Pfarrer Jörg Meyrer ist Seelsorger und Priester im Ahrtal
- Er war selbst Betroffener und betreute die Menschen nach der Katastrophe
- 2022 erschien sein Buch "Zusammenhalten: Als Seelsorger im Ahrtal"
Wie hast du das Ahrtal früher erlebt?
"Ich bin unheimlich gerne im Ahrtal. Die Menschen sind entgegenkommend, freundlich, wir haben viele Touristen bei uns. Die Landschaft, der Weinbau - alles lädt sehr zum Verweilen und Genießen ein, alles ist sehr liebenswert."
Wie hast du die Katastrophe erlebt?
"Ich erinnere mich sehr gut an diesen Tag. Wir haben ein paar Leute zusammengetrommelt, Sandsäcke gefüllt, um die Kirche in Ahrweiler zu sichern. Anschließend - das muss viertel nach elf gewesen sein, sind wir noch ein allerletztes, normales Bier trinken gegangen.
Es war bereits klar, dass dies keine normale Nacht wird. Es war klar, es würde eine Sieben-Meter-Flutwelle werden. Ich habe noch zwei Feuerwehrkameraden getroffen und ihnen mit Sandsäcken bei einer Tür geholfen, bevor wir hinter das Feuerwehrhaus gingen. Ich erinnere mich noch, wie laut es war. Massive Wassermassen strömten vorbei, die Bäume ächzten. Es war so ein Lärm.
Ich ging noch einmal vor das Feuerwehrhaus und stand bereits bis zu den Knien im Wasser. Dann wollte ich noch einmal zurück in die Stadt - bereits am Stadttor war das Wasser mir bis zur Hüfte gestiegen. Es ging rasend schnell. In der Innenstadt habe ich versucht zu helfen, ein Pfarrhaus abzudichten - doch auch am Marktplatz stand schon das Wasser, obwohl dieser 500 Meter von der Ahr entfernt ist. Das war dann auch alles schon zu spät."
Welcher Moment hat dir neue Hoffnung gegeben?
"Es war dieser ungeheure Zusammenhalt - eigentlich von der ersten Stunde an. Wir haben Kleider organisieren können, Mittagessen, wir haben eng mit den Kameraden vom roten Kreuz zusammengearbeitet. In den nächsten Tagen haben wir der Katastrophe in kleinen Schritten immer mehr Leben und ein Stück Normalität abtrotzen können. Das hat mir sehr viel Kraft gegeben."
Wie hast du die Solidarität im Ahrtal erlebt?
"In den ersten vier bis sechs Wochen mussten wir unser Leben komplett neu aufbauen. Das schafft man nicht allein, sondern nur gemeinsam. Wir haben das aber nicht nur miteinander gemacht, sondern auch mit Menschen, die zu uns kamen - und das waren unglaublich viele, am Ende Hundertausende: aus der Blaulichtfamilie, freiwillige Helfer, Familienmitglieder, Freunde… Dieser Zusammenhalt eine Katastrophe zu bewältigen, verändert das Leben. Nicht nur von uns, sondern auch von denen, die gekommen sind."
Wird das Ahrtal jetzt vergessen?
"Ja natürlich wird das Ahrtal vergessen, es ist ja schon vergessen. Wir waren sechs Wochen jeden Tag auf allen Titelseiten. Das erträgt keiner. Die Welt geht weiter. Wir haben den Krieg in Europa, andere Naturkatastrophen - die Menschen müssen sich anderem zuwenden. Das ist normal, auch wenn uns das wehtut. Andere fragen 'Seid ihr noch nicht fertig im Ahrtal?' Nein wir sind noch lange nicht fertig - und das kann sich kaum einer vorstellen."
Was wäre dein Wunsch an Deutschland?
"Die Wirklichkeit wahrnehmen, wie sie ist. Es gibt Veränderungen in entscheidenden Dingen und wir können nicht weiter so tun, als ginge es weiter, wie bisher. Das würde bedeuten, sich in die Tasche zu lügen. Das geht nicht mehr. Wir müssen unser Leben verändern."
Wem möchtest du danken?
"Ich bedanke mich für die riesige Solidarität, für jeden einzelnen, der ins Ahrtal gekommen ist, um zu helfen. Jeden einzelnen, der uns aus der Ferne unterstützt hat - sei es durch Gebete, Gedanken oder durch Spenden. Ohne diese Hilfsbereitschaft hätten wir das alles nicht überstanden."
Was fällt dir ein, wenn du das Wort "Hoffnung" hörst?
"Ohne Hoffnung könnte ich nicht leben."
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